TZG Newsletter Februar 2022
Liebe Leserin, lieber Leser!
Wir haben uns gefragt - Was hat uns im Verlauf der Pandemie besonders berührt und zum Nachdenken gebracht? Oder uns eine Begegnung jenseits der Differenzen ermöglicht? 
So entstanden Berichte aus unserer Arbeit, unserem Leben, ..  die eines gemeinsam haben: den Wunsch eine Brücke zu bauen, um miteinander im Dialog bleiben zu können.

Mit hoffnungsvollen Grüßen,
das Team des Therapiezentrum Gersthof

Brücken bauen
Belastungen
Kollektive Angst
Als Psychotherapeutin
Vieles hat mich zum Nachdenken gebracht

Hier noch ein Tipp für alle Väter: Auch 2022 wird wieder eine Vätergruppe veranstaltet. 
Termine, Informationen und Anmeldung unter: https://vätergruppe.at/

Brücken bauen

Belastungen

von Mag.a Meike Hansen
 
Ich empfinde die Pandemie wie sie im Moment ist als belastend, einiges macht mir Sorgen, manches auch Angst. Zum einen auf einer allgemeinen Ebene zum anderen habe ich in den letzten Monaten auch auf einer persönlichen Ebene einiges belastend empfunden. Häufig wird von Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft gesprochen im Rahmen der Corona Pandemie.

Spaltung ist aus (psycho)therapeutischer Sicht ein Abwehrmechanismus, der zum Tragen kommt, wenn wir vor etwas Angst haben und diese nicht bewältigen können. Durch die Spaltung blenden wir einzelne Aspekte der Realität aus. Auf diese Weise wird die Angst aushaltbar, die Realität erträglich.

Wenn ich mir die Frage stelle, vor was habe ich eigentlich Angst, wenn ich beispielsweise wahrnehme, ich befinde mich argumentativ auf der einen oder anderen Seite, habe ich bemerkt, dass ich offener, weicher, zugänglicher werde. Ich wünsche mir, dass dieser Prozess gesellschaftlich mehr, so oder so ähnlich in Gang kommt. In der Gruppendynamik gibt es außerdem die Sichtweise, dass es in einer Gruppe immer bestimmte Rollen gibt (Anführer, Mitläufer, Experte, Außenseiter).

Was passiert z.B. häufig mit einem Außenseiter? Er wird oftmals mit seiner Meinung ausgestoßen. Damit ist das Problem jedoch nicht gelöst. Der nächste wird die Rolle einnehmen. Und es ist Aufgabe der Gruppe ihn zu hören, denn auch seine Sichtweise enthält einen Teil der Wahrheit und um diese sollte es jeder Gruppe gehen. Dazu gehört ein gegenseitiges Zuhören und ein sich eingestehen der eigenen Ängste und dass man in diesen immer wieder verleitet ist Aspekte auszublenden.

Auf einer persönlichen Ebene waren die Rahmenbedingungen der Pandemie belastend, weil mein Vater in Deutschland in den Pandemiejahren schwer erkrankt  und Anfang November nun verstorben ist. Neben dem Schmerz, der Trauer, dem Abschied bedeutete dies die Fragen: Wie kann ich einreisen, komme ich noch ins Krankenhaus mit meinen Kindern, können diese sich noch von ihrem Großvater verabschieden? Zur Abschiedsfeier galt Österreich schon wieder als Hochrisikogebiet. Was hätte ich mir gewünscht, gebraucht? Die Sicherheit, das Zugeständnis, dass es trotz aller Regeln und Maßnahmen Ausnahmen gibt und für die Bedürfnisse der Familie und deren sterbender Angehörigen  in jedem Fall Wege gefunden werden.
 

Kollektive Angst

von Dr. Isaias Costa

Angst, eine kollektive große Angst. Das ist, was ich wahrnehme, seit die Pandemie - diese große Naturkatastrophe - da ist. Und diese Katastrophe hat ihre Eigenart. Sie ähnelt einem Terrorregime, bei dem man nicht weiß, wo, wann, auf wen und durch wen es als nächstes zuschlägt, und man so immer in einem Alarmzustand lebt, nicht ausweichen und keine Kräfte wieder sammeln kann. Dazu kommt, dass wir empathisch die Angst der anderen wahrnehmen, was unsere eigene Angst noch mehr potenziert. Diese riesige Emotion wird als sehr bedrohlich erlebt und jed_e entwickelt eigene Strategien, um mit ihr zu leben.

Häufig sind es Emotionsverschiebungen: Anstatt der ursprünglichen Emotion fühle ich zum Beispiel Wut, oder Trauer, oder Sorge, oder Verbitterung – all diese sind leichter zu ertragen als die große Angst. Im TZG arbeiten wir mit Emotionen und sind ein Raum, wo über diese Fragen reflektiert werden kann. Und zwar auf eine zutiefst persönliche und individuelle Art. Ich bin sehr stolz und glücklich, in so einem Ort zu wirken und einen Beitrag zu leisten, dass meine Klient_innen etwas Schutz erleben und Kräfte sammeln können. So wie bei vergangenen Pandemien ist diese Katastrophe von großen Spannungen in der Gesellschaft begleitet, und zwar weil man nicht weiß, wohin mit den (verlagerten) Emotionen.

Da der Verursacher unsichtbar ist, wird auf die nächstbeste Leinwand projiziert. Ob auf Ungeimpfte, Geimpfte, Regierung, Internetriesen, Pfleger_innen, oder sogar auf Kinder – alles egal, solange ich etwas Entladung erleben kann und eine Aussicht auf Hoffnung habe. Nach historischen Erfahrungen werden Sozialspannungen erst mit dem Ende der Pandemie aufhören.

Denn auch diese Pandemie wird ein Ende haben. Wir werden dann vor emotionalen Trümmern stehen. Gekränkte Freund_innen, gebrochene Beziehungen, enttäuschte Partner_innen, kranke Seelen, tiefe Depressionen, … Und es wird die Aufgabe unserer Generation (und im kleinen Rahmen auch des TZG) werden, diese Trümmer zu beseitigen. Aber auch jeder Pandemie folgten große gesellschaftliche Entwicklungen: städtische Kanalisation, öffentliches Gesundheitswesen, allgemeine Krankenversicherung, … und Psychotherapie auf Krankenschein? Was wird wohl unsere Lehre aus dieser Pandemie werden? Wie werden wir dazu beitragen? 

Als Psychotherapeutin

von Mag.a Geneviève Hess

Ich gehöre zu den Menschen, die ab März 2020 den Ernst der gesundheitlichen Lage aufgrund der Pandemie im Zusammenhang mit dem Coronavirus wahrgenommen haben. Damals war ich erstaunt, dass Freunde oder Bekannte, zusammen mit vielen anderen, die Debatte sofort politisierten und eine Manipulation der Mächtigen sahen, die die Bevölkerung besser kontrollieren und beherrschen wollten.

Ein Dialog erschien mir schnell unmöglich, da radikale Haltungen zu einer Polarisierung und Aggression führten. Im Laufe des Jahres 2021 entstand ein immer tieferer Graben zwischen den "Anti-Vax"-Mitgliedern und denjenigen, die die Impfung als einen endlich möglichen Ausweg aus den wiederholten Lockdowns und der Ansteckung betrachteten. Ich war entmutigt und schließlich erschöpft von den sinnlosen, auf gegenseitigen Anschuldigungen beruhenden Auseinandersetzungen, die ich in den Gruppen, denen ich angehöre, miterleben konnte.

Wie kann man einen offenen Dialog aufrechterhalten, ohne in eine Konfrontationsfalle zu geraten, in der jede/r an seiner/ihrer Position festhält? Das hat mich zu dem Gedanken gebracht, dass ich als Psychotherapeutin wahrscheinlich nicht mit KlientInnen arbeiten könnte, die aus ihrer Impfverweigerung eine Dogmatik aufbauen...

Bis zu dem Tag, an dem ein neuer Klient, A., sich in unserem ersten Gespräch als nicht geimpft vorstellte, weil er trotz seiner ständigen Nachforschungen noch nicht vom Nutzen der aktuellen Impfungen überzeugt werden konnte. Als Psychotherapeutin muss ich mit meinen Klienten nicht diskutieren, sondern sie so akzeptieren, wie sie sind, und dabei meine Empathie zum Ausdruck bringen.

Diese Haltung nahm ich bei A. von der ersten Minute an ein. Und ich spürte etwas völlig Neues: Für ihn war es das erste Mal, dass er seine Gedanken, seine Zweifel, seinen Wunsch, der alleinige Herr seiner Entscheidungen zu sein, ausdrücken konnte - ohne verurteilt zu werden. Und mir gelang es meinerseits, authentisch zu sein, indem ich auf Argumente verzichtete, die in unseren Settings keinen Platz hatten, und Platz für eine vorbehaltlose Offenheit ihm gegenüber machte.

Leider entschied sich A. mit seiner Entscheidung, Österreich zu verlassen, das einzige Land, in dem die Impfpflicht eingeführt worden war, dafür, die Therapie zu beenden.

Vieles hat mich zum Nachdenken gebracht

von DI Robert Bahr

Vorausgeschickt: ich bin 3 x geimpft und vertraue auf die Wissenschaft. Aber vieles in den letzten Monaten hat mich zum Nachdenken gebracht. Nein, nicht über die Sinnhaftigkeit der Impfung. Sondern über die Spaltung, das Gegeneinander, die bange Frage, was aus all dem für unser Zusammenleben folgen wird, nach der Pandemie. Xavier Naidoo kommt als erstes vorbei, der vor ein paar Monaten sagte, die Impfung würde uns offenbar zu Zombies machen. Nein, nicht wegen seiner bizarren Verschwörungstheorie. Sondern weil er sie begründete damit, dass die Geimpften keine Empathie mehr hätten mit Ungeimpften, wie Zombies eben. Empathie ... ich bin Psychotherapeut. Hab ich keine Empathie mehr?

Eine Kollegin erzählt von ihrer Ausbildung, wo sie sich auf ein Gespräch mit einer Corona-Skeptikerin eingelassen hatte. Und wie sie begann nachzufragen, ging es auf einmal nicht mehr um Corona, sondern Fremd­bestimmung versus Selbstbestimmung, wer darf mir etwas anschaffen, was ich nicht will? Alte Themen. Ich telefoniere mit einer Freundin aus einer ehemaligen Ausbildung, erzähle ihr das. Sie hat selbst in ihrer Kindheit erlebt, geimpft zu werden als Kind in einem schlecht erklärten Test, und Impfschäden damals. Seither will sie selbst über ihren Körper bestimmen. Sie beginnt zu weinen, fühlt sich auf einmal verstanden.

Ich chatte mit einer Freundin, die ich schon lange nicht mehr gesehen hab, wann wir uns mal wieder treffen. Sie ist ungeimpft, ist im Lockdown, darf nirgends hin, wir dürfen nur spazieren gehen. Ob mir das eh nicht zu gefährlich ist, sie zu treffen. Ich sage ihr, dass ich mich überhaupt nicht auf die Idee einlassen will, sie als gefährlich zu sehen.

Ich erinnere mich daran, wie es die Impfung die ersten Monate gab, wie eine Therapeutin bei einem Online-Seminar sehr betroffen war. Der Mann ihrer Freundin war gestorben, an der Hirnvenen-Thrombose nach der Impfung, damals, als noch nicht klar war, dass das eine der seltenen Folgen sein kann. Ja, die Wahrscheinlichkeit an Corona zu sterben ist x-fach höher. Und sie ist nicht gegen die Impfung, ließ sich trotzdem impfen, aber dennoch ist er tot, und ihre Betroffenheit ist noch immer in mir.

All das hat etwas verändert in mir, ließ mich anders darauf sehen, wie wir miteinander umgehen, in dieser Krise. Und dann las ich Drosten in einem Interview, der auf die Frage "Werden wir jemals wieder so leben wie vor der Pandemie?" antwortete mit "Ja, absolut". Bis auf vielleicht mehr Homeoffice, und die neue mRNA-Technologie in der Medizin, aber sonst natürlich. Und ich denke daran, wie HIV die sexuelle Freizügigkeit einer ganzen Generation, die sich in der sexuellen Revolution von Altem und Tabuisierten gelöst hatte, wieder zurück setzte. Denke daran, dass ich letztens im Kino den Mann neben mir betrachtete und mir dachte "bist du eh nicht gefährlich für mich?" Nein.

Es wird nicht so werden wie vor der Pandemie. Der Virus wird Folgen haben, für unser Zusammenleben, wie damals HIV, auch wenn er nicht mehr gefährlich sein wird. Wir alle werden viel zu tun haben, Brücken müssen wieder gebaut werden, Hände gereicht, zugehört, und unsere Empathie füreinander wieder gefunden werden, bevor unsere Demokratie und unser aller Zusammenleben ernsthaft in Gefahr kommt.

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