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Ethik in der Psychotherapie

Skriptum zur Lehrveranstaltung

Isaias Costa, Version von 1. Mai 2015


Inhaltsverzeichnis

1. EINFÜHRUNG
2. ÜBER DIE MACHT
2.1. Inszenierungen
2.2. Beziehungsaspekte
2.3. Machtgebrauch und Machtmissbrauch
3. MACHT IN DER PSYCHOTHERAPEUTISCHEN BEZIEHUNG
3.1. Die psychotherapeutische Beziehung
3.2. Abhängigkeit
3.3. Übertragung und Gegenübertragung
3.4. Verstrickungen
4. DER BERUFSKODEX
4.1. Rechte der Klient_innen
4.2. Verantwortlicher Umgang mit dem Abhängigkeitsverhältnis
4.3. Die Verpflichtungen der Psychotherapeut_in sind auch nach dem Ende der Behandlung zu wahren
4.4. Weitere ethischen Themen
5. Schluss

1. Einführung

Dieser Workshop wird den Schwerpunkt auf das innere Verstehen des ethischen Handelns in der Psychotherapie legen.
Im reellen Leben helfen Richtlinien, die aus einer normativen Ethik zu entnehmen wären, sehr wenig, und das erst dann, wenn die Verstrickung in einer sensiblen Situation schon weit fortgeschritten ist. Meistens sorgt ja die Verstrickung dafür, dass die Situation lange nicht als problematisch erkannt wird. So wird das Verhalten nicht mit Hilfe der Richtlinien explizit hinterfragt.
Was sich auf der anderen Seite als sehr brauchbar erweist, ist die Gewohnheit, das eigene Verhalten zu reflektieren – zum Beispiel durch regelmäßige Supervision – und speziell eigene „Erfahrung“ mit unethischen Verhalten zu sammeln. Das kann durch Reflektion über Fallbeispiele und über die theoretische Auseinandersetzung mit Themen, die sich aus der Praxis konkret als problematisch erweisen, erreicht werden. So ist es zum Beispiel hilfreich, Folgendes zu thematisieren: sexueller Missbrauch in der Psychotherapie, Beziehungen zur Klient_in außerhalb des therapeutischen Settings, Abgrenzung gegenüber nicht psychotherapeutischen Methoden.
Mit Bedacht auf den Nutzen für die Teilnehmer_in werde ich den Kurs sehr praxisnah gestalten, mit Beispielen aus dem psychotherapeutischen Alltag und aus dem Leben der Teilnehmer_innen. Auch in diesem Sinn werden wir die theoretische Reflexion auf einer expliziten Diskussion über den Berufskodex des Österreichischen Gesundheitsministeriums basieren.
Methodisch werden wir den Frontalunterricht vermeiden. Die Diskussion wird in verschiedenen Formen von Kleingruppen und „fish bowls“ gehalten. Abwechselnd dazu wird Selbsterforschung mit persönlichem Inhalt verwendet. Letzteres bildet zwar den Schwerpunkt der Arbeit, wird hier aber im Skriptum ihrer Natur entsprechend nicht wiedergeben.

2. Über die Macht

Die große ethische Frage der psychotherapeutischen Praxis ist der Machtmissbrauch. Das Machtgefälle zwischen Therapeut_in und Klient_in wird oft unterschätzt oder gar übersehen; daraus resultieren Verhaltensweisen, die nicht im Interesse der Klient_in sind, sondern den stärkeren Pol dieser Beziehung, nämlich die Therapeutin, bevorzugen.
Um das in der Tiefe zu verstehen, werden wir uns zunächst mit einer – theoretischen wie praktischen – Untersuchung der verschiedenen Aspekte einer Beziehung befassen, die mit Macht zusammenhängen.
Bei dieser Untersuchung lehnen wir uns an den Roman „Die rote Couch“ von Irvin Yalom an. Die Beziehungsgeflechte der verschiedenen Figuren werden von den Teilnehmer_innen inszeniert und danach in der gesamten Gruppe reflektiert.

2.1. Inszenierungen

2.1.1 Trotter, Belle, Ernest

2.1.2 Marshal, Seth, Ernest, Shelly, Macondo, Carol

2.1.3 Ernest, Justin, Carol, Jess

Diese Themen werden getrennt im Laufe des Workshops im „fish bowl“-Setting bearbeitet.

2.2. Beziehungsaspekte

Folgende Aspekte wollen wir in den oberen Beispielen besonders gut verstehen (Arbeit in Kleingruppen mit Austausch im Plenum):

2.2.1 Beziehungen

Was charakterisiert die Beziehung der Figuren zueinander?

2.2.2 Abhängigkeit

Was für Abhängigkeitsverhältnisse sehen wir unter den handelnden Personen?

2.2.3 Angst

Haben die Figuren Angst? Was befürchten sie?
Äußere und innere Bedrohung.

2.2.4 Macht

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Macht und Angst in den betrachteten Beispielen?

2.3 Machtgebrauch und Machtmissbrauch

Fast immer ist Machtmissbrauch keine bewusste Manipulation, sondern kommt durch Verschleierung der Abhängigkeitsverhältnisse zustande.
Eine solche Verschleierung kommt sehr oft vor und ist sehr tückisch, weil sie – oberflächig zumindest – den Interessen der beiden Parteien dient: Der Mächtigen ermöglicht sie, trotz moralischer Verurteilung die eigenen Bedürfnissen zu erfüllen; der Unterlegenen ermöglicht sie, den Schmerz der Abhängigkeit zu vermeiden.
Dazu kommt, dass dies oft – für beide – eine Reinszenierung einer früheren traumatischen Situation ist. Wenn es nicht gelingt, die verdrängten Themen erfahrbar zu machen, wird es zu einer neuen Traumatisierung kommen.

3. Macht in der psychotherapeutischen Beziehung

Macht ist eine Dimension jeglicher Beziehung. Uns interessiert aber speziell, wie sie in einer psychotherapeutischen Beziehung wirkt, und wie ein guter Umgang damit aussieht. Ein besonderes Augenmerk werden wir auf die Vorbeugung des Machtmissbrauchs legen.

3.1. Die psychotherapeutische Beziehung

Was unterscheidet eine psychotherapeutische von einer gewöhnlichen Beziehung? Hier werden spezifische Aspekte einer psychotherapeutischen Beziehung beschrieben.

3.2. Abhängigkeit

Auch wenn ein wichtiges Prinzip einer psychotherapeutischen Beziehung die Autonomie der Klient_in ist, kann es für den psychotherapeutischen Prozess hilfreich sein, wenn sich die Klient_in zeitweise in einer Phase uneingeschränkten Vertrauens zur Therapeut_in einlässt. Diese Abhängigkeit ermöglicht, vergangene Beziehungen zu erforschen und ihre emotionelle Bedeutung zu verstehen. Sie macht die Klient_in aber gleichzeitig besonders empfindlich darauf, missbraucht zu werden.

3.3. Übertragung und Gegenübertragung

Hier werden wir theoretisch diese zwei Begriffe für unsere Zwecke erklären, und anhand von Paararbeit introspektiv erforschen.

3.4. Verstrickungen

Auch werden wir erklären, wie dieser Begriff hier verwendet wird. Anhand von persönlichen Beispielen werden wir sie in der Großgruppe auch introspektiv erforschen.

4. Der Berufskodex

Nun sind wir gut vorbereitet, die ethischen Richtlinien, die für den Berufsstand der Psychotherapie in Österreich gelten, zu diskutieren.

Wir stützen uns dazu auf den „Berufskodex für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten“ des Bundesministeriums für Gesundheit, der auf Grundlage von Gutachten des Psychotherapiebeirates, zuletzt vom 13.03.2012, basiert.

4.1. Rechte der Klient_innen

Der wichtigste Teil des Kodexes ist das Kapitel 3: "Vertrauensverhältnis, Aufklärungs- und besondere Sorgfaltspflichten in der psychotherapeutischen Beziehung"
Die ersten Absätze sind eher formaler Natur und ganz leicht zu verstehen. Diese werden wir in einem Vortrag mit Austausch behandeln:

4.1.1 Freie Psychotherapeut_inwahl

4.1.2 Abklärung der Leidenszustände

4.1.3 Freiwilligkeit der Behandlung

4.1.4 Aufklärung über die Behandlung

4.1.5 Aufklärung über eine eventuelle konziliar Arbeit

4.1.6 Einsichtnahme in die Pflichtdokumentation

Dabei ist es wichtig zu unterstreichen, dass Pflichtdokumentation ausschließlich folgende Punkten umfasst: Zeitpunkt, Vereinbarungen, Befunde, Konsultationen und Empfehlungen zur ergänzenden Abklärung oder Behandlung

4.1.7 Uneingeschränkte Geheimhaltung

4.1.8 Auskunftspflicht gegenüber einer gesetzlichen Vertreterin

Die dort folgenden Punkte 9 und 10 des Kodexes sind von großer Bedeutung. Um das zu veranschaulichen, habe ich sie hier eigenen Kapiteln zugeordnet (4.2. und 4.3). Methodisch werden sie in Kleingruppen vorbereitet, die sie dann dem Plenum erklären und eine Diskussion führen.

4.2. Verantwortlicher Umgang mit dem Abhängigkeitsverhältnis

4.2.1 Die Abhängigkeit der Patient_in

Jeglicher Missbrauch dieses Vertrauensverhältnisses und der im Psychotherapieverlauf bestehenden, vorübergehend vielleicht sogar verstärkten Abhängigkeit der Patient_in von der Psychotherapeut_in stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die ethischen Verpflichtungen der Psychotherapeut_in dar;

4.2.2 Persönliche Interessen

Missbrauch liegt dann vor, wenn Psychotherapeut_in ihren Aufgaben gegenüber den Patient_innen untreu werden, um ihre persönlichen Interessen, insbesondere sexueller, wirtschaftlicher, sozialer, emotionaler, politischer oder religiöser Natur zu befriedigen;

4.2.3 Verstrickungen

Daraus ergibt sich auch die Verpflichtung der Psychotherapeut_in, dementsprechend alle Verstrickungen mit den Patient_innen zu meiden;

4.2.4 Verpflichtung, den Eigenanteil zu reflektieren

Für den Fall, dass sich während einer Psychotherapie seitens der Psychotherapeut_in eine nicht auflösbare emotionale Verstrickung (wie z.B. Verliebtheit, Ablehnung, Identifikation) abzeichnet, besteht die Verpflichtung, den Eigenanteil zu reflektieren (insbesondere durch Supervision, Intervision, Selbsterfahrung) und zu klären, ob der psychotherapeutische Prozess noch verantwortlich weitergeführt werden kann; sollte dies nicht der Fall sein, ist die Psychotherapie umgehend zu beenden und dafür Sorge zu tragen, dass die Patient_in den psychotherapeutischen Prozess woanders weiterführen kann und somit auch einen Ort der Reflexion über das aktuelle Geschehen erhält;

4.2.5 Verantwortung für die Vermeidung von Verstrickungen

Die Verantwortung für die Vermeidung von Verstrickungen liegt allein bei der Psychotherapeut_in und kann nicht den Patient_innen übertragen werden;

4.2.6 Schwerer ethischer Verstoß

Entsprechende Verstöße gegen die Berufsethik sind geeignet, die Vertrauenswürdigkeit der Psychotherapeut_in ernsthaft in Frage zu stellen;

4.3. Die Verpflichtungen der Psychotherapeut_in sind auch nach dem Ende der Behandlung zu wahren

Es kommt oft vor, dass die psychotherapeutische Beziehung beendet wird, um Einschränkungen zum Umgehen. Eine weiterführende Überlegung weist klar daraufhin, dass die Machtgefälle durchaus über das Ende der Behandlung hinaus bestehen können. Der Kodex geht im Detail auf diese Situation ein:

4.3.1 Die psychotherapeutische Beziehung

die psychotherapeutische Beziehung als ein maßgebliches Werkzeug in der Psychotherapie und als maßgeblicher Wirkfaktor für den Erfolg der Psychotherapie stellt ein besonders schützenswertes Gut dar;

4.3.2 Die psychotherapeutische Beziehung besteht auch nach Ende der Psychotherapie

Die psychotherapeutische Beziehung bleibt auch nach Ende der Psychotherapie schutzbedürftig und ist Gegenstand nachvertraglicher Sorgfaltspflichten – infolgedessen liegt die Verantwortung für den Schutz der psychotherapeutischen Beziehung auch nach dem Ende der Psychotherapie ausschließlich bei der Psychotherapeut_in und kann nicht auf die ehemalige Patient_in übertragen werden;

4.3.3 Ungleiches Wissen voneinander

Die psychotherapeutische Beziehung inkludiert – auch vor dem Hintergrund des jeweilig vereinbarten spezifischen Settings – Ungleichheit hinsichtlich des Wissens voneinander (die Psychotherapeut_in weiß mehr von ihrer Patient_in als umgekehrt); daraus resultiert, dass die psychotherapeutische Beziehung nicht symmetrisch sein kann;

4.3.4 Rückwirkende Auswirkungen

Die der Psychotherapie nachfolgenden außertherapeutischen Erfahrungen der Patient_in mit der Psychotherapeut_in würden auf den psychotherapeutischen Prozess und den Behandlungserfolg rückwirkende Auswirkungen haben, die nicht nur bestätigender sondern vielmehr relativierender, dekonstruierender oder sogar schädigender Natur sein könnten:

  • dabei ist zu berücksichtigen, dass die realen Beziehungsmomente (z.B. das Arbeitsbündnis) in der psychotherapeutischen Beziehung von den Spezifika dieser Beziehung geprägt sind - insbesondere der fehlenden Symmetrie. Daher wären sie auf eine Beziehung außerhalb des Therapieraumes nicht deckungsgleich übertragbar, sondern würden sich dann vielmehr neu und anders gestalten;

4.3.5 Abschied

In der Regel ist das Abschiednehmen von der Psychotherapie und voneinander, insbesondere für die Patient_in, ein längerer Prozess, der mit der Entidealisierung der Psychotherapeut_in einhergeht;

4.3.6 Phase des Auslaufens der Psychotherapie

Um die Abhängigkeit der Patient_in von der Psychotherapeut_in wieder aufzulösen, verlangt die Dynamik der psychotherapeutischen Beziehung jedenfalls eine Phase des Auslaufens der Psychotherapie und ein darauf folgendes Abstandhalten zwischen Psychotherapeut_in und Patient_in;

4.3.7 Fallweise kann das Abhängigkeitsverhältnis nicht zu beenden sein

Infolgedessen wird deutlich, dass die psychotherapeutische Beziehung über das Ende der Psychotherapie hinaus weiter wirkt und unter Umständen das mit ihr verbundene besondere Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis auch nie beendet wird; damit fallen der Zeitpunkt des Endes der Psychotherapie und der Zeitpunkt des Endes der psychotherapeutischen Beziehung (und des damit verbundenen besonderen Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnisses) auseinander;

4.3.8 Das Ende einer Psychotherapie

Auf ein transparentes (d.h. erkennbares, verständliches und eindeutiges) Ende der Psychotherapie - insbesondere für die Patient_in - ist in besonderer Weise zu achten. Wenn möglich, ist das Ende mit der Patient_in zu vereinbaren; das Ende der Psychotherapie bestimmt sich insbesondere anhand der nachfolgenden Kriterien:
• es gibt eine letzte Therapiestunde;
• nach der letzten Therapiestunde gibt es keine weiteren therapeutischen Kontakte, z.B. auch mittels Telefonaten oder E-Mails;
• wenn es nach der letzten Therapiestunde weitere therapeutische Kontakte gibt, ist die Psychotherapie erst mit dem letzten therapeutischen Kontakt beendet;

4.3.9 Besondere Fälle

Die psychotherapeutische Beziehung und das damit verbundene besondere Vertrauensverhältnis wird insbesondere in folgenden Fällen des Endes der Psychotherapie in besonderem Ausmaß weiterwirken und unter bestimmten Umständen auch nie beendet werden:
• es gibt eine während der Psychotherapie gewachsene, nicht auflösbare Abhängigkeit, die geeignet ist, unter Umständen lebenslang anzuhalten;
• es gibt eine letzte Therapiestunde mit der Vereinbarung, dass eine Rückkehr, insbesondere bei Auftreten von Krisen, möglich ist;
• es gibt ein sofortiges, einseitig gewünschtes Ende bzw. einen Abbruch der Psychotherapie, sodass keine Zeit und kein Raum für die Ablösung aus der psychotherapeutischen Beziehung bestehen;

4.3.10 Schwerwiegender Verstoß

Solange eine Abhängigkeit der ehemaligen Patient_in von der ehemaligen Psychotherapeut_in besteht, stellt das Anbahnen und Eingehen einer nicht-therapeutischen Beziehung, welcher Art auch immer, ein vertrauensunwürdiges Verhalten der Psychotherapeut_in dar;

4.3.11 Pragmatische Richtlinie

da die Dauer der Abhängigkeit von mehreren individuellen Faktoren abhängt, steht auch die nachfolgende Äußerung unter dem Vorbehalt, dass der Loslösungsprozess abgeschlossen ist und folglich keine Abhängigkeit mehr besteht: Aus den bisherigen Ausführungen und unter Kenntnisnahme internationaler Empfehlungen kann angenommen werden, dass ein allfälliges Eingehen einer nicht-therapeutischen Beziehung mit der ehemaligen Patient_in vor Ablauf von zumindest zwei Jahren ab dem Ende der Psychotherapie kein vertrauenswürdiges Verhalten der Psychotherapeut_in darstellen würde;

4.3.12 Reflexionspflicht

Erwägungen über das allfällige Eingehen einer nicht-therapeutischen Beziehung sind zu jedem Zeitpunkt reflexionspflichtig (insbesondere durch Supervision, Intervision, Selbsterfahrung).



Ein letzter Punkt dieses Kapitels betrifft das Ende einer Behandlung:

4.3.13 Rechtzeitige Information über Ende der Behandlung

Die Patient_innen haben das Recht auf rechtzeitige Information über die Absicht der Therapeut_in, von der Behandlung (oder von der Ausübung des Berufs) zurückzutreten; dabei ist mit der Patient_in abzuklären, ob sie weiter psychotherapiebedürftig ist; diese Information hat so zeitgerecht zu erfolgen, dass der Patient_in eine Fortführung der Psychotherapie bei einer anderen Therapeut_in ihrer Wahl möglichst ohne beeinträchtigende Unterbrechung möglich ist.

4.4. Weitere ethischen Themen

Der Berufskodex beschäftigt sich mit weiteren ethischen Themen der Ausübung des psychotherapeutischen Berufes. Ich übertrage hier den Text des Kodexes in einer vereinfachten Form. In Klammer habe ich auf das jeweilige Kapitel hingewiesen.

4.4.1 Fachliche Kompetenz (Kapitel 2)

Die Erfüllung psychotherapeutischer Aufgaben erfordert die ständige selbstkritische Prüfung der eigenen persönlichen und fachlichen Qualifikation und Kompetenz, das ständige Bemühen um ihre Weiterentwicklung und die Beachtung der eigenen Grenzen.
Daraus ergeben sich für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten auch die konkreten Verpflichtungen,
1. ausschließlich jene psychotherapeutischen Leistungen anzubieten, für die eine entsprechende Qualifikation und Kompetenz erworben worden ist;
2. sich durch entsprechende Fortbildung über den aktuellen Stand der erlernten und ausgeübten psychotherapeutischen Richtung zu informieren, sich damit kritisch auseinander zu setzen, und ihn eigenverantwortlich in der eigenen psychotherapeutischen Tätigkeit zu berücksichtigen;
3. das eigene Erleben und Verhalten in der psychotherapeutischen Tätigkeit in fortlaufender oder periodischer Supervision zu reflektieren;
4. die Wirkung der eigenen Arbeit zu überprüfen; den kollegialen Austausch, die kritische Reflexion und den fachlichen Diskurs insbesondere auch bei der Weiter- und Neuentwicklung psychotherapeutischer Erkenntnisse und Verfahren zu suchen;
5. sich über die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften und über institutionelle und organisatorische Rahmenbedingungen für die psychotherapeutische Tätigkeit im Gesamtzusammenhang des Gesundheitswesens und der psychosozialen Einrichtungen kundig zu machen und informiert zu halten.

4.4.2 Umgang mit der Öffentlichkeit (Kapitel 4)

Folgendes Verhalten ist zu erwarten:
• Verantwortlicher Umgang mit jeder Form des Anbietens psychotherapeutischer Leistungen in der Öffentlichkeit;
• Sachliche und wahre Information über den Berufsstand, über die eigene Qualifikation und über Art und Umfang der angebotenen psychotherapeutischen Leistungen. Insbesondere:
1. Berufsbezeichnung (ev. mit Zusatzbezeichnungen);
2. „in Ausbildung unter Supervision“ in ausgeschriebener Form
3. psychotherapeutische Methoden und Verfahren;
4. Werbungsverbot.

4.4.3 Kollegiale Zusammenarbeit (Kapitel 5)

Aus dem Gebot einer kollegialen Zusammenarbeit und Kooperation mit angrenzenden Berufen erwachsen folgende Verpflichtungen:
1. Offenheit für die Weiterentwicklung der Psychotherapie, insbesondere: Auseinandersetzung mit verschiedenen psychotherapeutischen Schulen und mit anderen Wissenschaftsdisziplinen; sich konstruktiv und kritisch einzubringen, ohne andere Richtungen und Auffassungen und deren Vertreter_innen herabzusetzen oder zu diffamieren;
2. Kein unsachliches Konkurrenzverhalten;
3. Keine unsachliche Kritik an der Berufsausübung anderer Therapeut_innen; bei begründetem Verdacht unlauteren oder standeswidrigen Verhaltens von Berufskolleg_innen aber nicht zu schweigen, sondern entsprechend den Richtlinien angemessen umzugehen.

In Bezug auf die kollegiale Zusammenarbeit untereinander sollten Psychotherapeut_innen offen für eine Zusammenarbeit bei der Abklärung und Behandlung der Leidenszustände der Patient_innen, bei der Vertretung von Kolleg_innen und bei der Zuweisung von Patient_innen sein.
Für die Zuweisung von Personen zur Psychotherapie darf eine Psychotherapeut_in nicht entgolten werden.
Auch bei der Bildung einer Praxisgemeinschaft darf ein eventuell existierendes Machtgefälle nicht ausgenützt werden. Zum Beispiel bezüglich auf
1. Die freie Wahl der Therapeut_in;
2. Die Subsidiarität der ethischen Pflichten auf andere Personen der Gemeinschaftspraxis;

Die kollegiale Zusammenarbeit mit Psychotherapeut_innen in Ausbildung unter Supervision, die ihre supervidierte Praxis in Zusammenarbeit mit einer eingetragenen Psychotherapeut_in absolvieren, bietet ein weiteres Reflexionsfeld an. Dabei ist zu berücksichtigen, dass
• die Psychotherapeut_in in Ausbildung unter Supervision für ihr unmittelbares psychotherapeutisches Handeln selbst verantwortlich ist;
• die eingetragene Psychotherapeut_in hat darauf zu achten, dass der in Ausbildung unter Supervision stehenden Psychotherapeut_in nur Aufgaben übertragen werden, die der jeweiligen persönlichen und fachlichen Kompetenz und Belastbarkeit angemessen sind; die Heranziehung zu einseitigen oder ausschließlich untergeordneten Hilfstätigkeiten ist unzulässig;
• die eingetragene Psychotherapeut_in ist nicht berechtigt, aus der Kooperation mit Psychotherapeut_innen in Ausbildung unter Supervision finanzielle Vorteile zu ziehen.

4.4.4 Ausbildung (Kapitel 6)

Die Grundsätze für den verantwortungsvollen Umgang mit Patient_innen und Berufskolleg_innen sind sinngemäß selbstverständlich auch auf das Verhältnis zwischen Ausbildenden und Auszubildenden im psychotherapeutischen Propädeutikum und psychotherapeutischen Fachspezifikum anzuwenden.
Die Ausbildungsvereine und die Ausbildenden übernehmen die Aufgabe, Verantwortung und Verpflichtung, einen optimalen Beitrag zur Erreichung des Ausbildungszieles für die Auszubildende zu leisten.
Dieses Ausbildungsverhältnis ist abgesehen von einem spezifischen Abhängigkeits- und Vertrauensverhältnis auch mit einem evaluativem Charakter gekennzeichnet.
Die Auszubildenden unterziehen sich einem Prozess, der in seinem Verlauf eine Beurteilung der ganzen Person beinhaltet. Es beinhaltet zu mindestens temporäre Abhängigkeiten, und in der Regel tiefgreifende Veränderung im Sinne von Entwicklung und Reifung der Persönlichkeit. Die Verpflichtung erfordert daher von den Ausbildenden eine besondere Sorgfalt im Umgang mit der Person der Auszubildenden – und das schon im Zuge der Zulassung.
Jeglicher Missbrauch dieses Vertrauensverhältnisses stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die ethischen Verpflichtungen dar.
Missbrauch liegt dann vor, wenn Ausbildende ihren Aufgaben gegenüber den Auszubildenden untreu werden, um ihre persönlichen Interessen, insbesondere sexueller, wirtschaftlicher, sozialer, emotionaler, politischer oder religiöser Natur zu befriedigen; daraus ergibt sich auch die Verpflichtung der Ausbildenden, dementsprechend alle Verstrickungen mit den Auszubildenden zu meiden. Die diesbezügliche Verantwortung liegt allein bei den Ausbildenden und kann nicht auf die Auszubildenden übertragen werden.
Solche Verstöße gegen die Berufsethik sind geeignet, die Vertrauenswürdigkeit und Qualifikation der Ausbildenden ernsthaft in Frage zu stellen.
Volle Aufklärung und Information über die Ausbildungsordnung und alle für den Ausbildungsgang wesentlichen Regelungen sind schriftlich festzuhalten und interessierten Personen zugänglich zu machen. Dies gilt auch für die Regelungen und Verfahrensweisen bezüglich der Behandlung von Streitfällen aus dem Ausbildungsverhältnis, die die Ausbildungseinrichtungen in angemessener Weise festzulegen haben. Alle für das Ausbildungsverhältnis relevanten Vereinbarungen sind sinnvollerweise mit der Auszubildenden schriftlich zu treffen.
Auch nach Ende der Ausbildung sind diese Richtlinien weiter zu beachten.

4.4.5 Gesundheitswesen (Kapitel 7)

In ihrer gesellschaftlichen Verantwortung sind die Angehörigen des psychotherapeutischen Berufes gefordert, durch ihr Wirken ihren Beitrag zur Erhaltung und Schaffung von Lebensbedingungen zu leisten, die der Förderung, Erhaltung und Wiederherstellung der psychischen Gesundheit und der Reifung und Entwicklung des Menschen dienen.
Darüber hinaus besteht eine besondere soziale Herausforderung darin, sich für einen verbesserten Zugang zur Psychotherapie einzusetzen.
Im Umgang mit der Finanzierung von Psychotherapie besteht für Angehörige des psychotherapeutischen Berufes über die Einhaltung der jeweiligen gesetzlichen und vertraglichen Regelungen hinaus die Verpflichtung, in jedem konkreten Fall die Implikationen der jeweiligen Finanzierung für den psychotherapeutischen Prozess zu reflektieren und sie im psychotherapeutischen Geschehen angemessen zu berücksichtigen.
Wo dies von der psychotherapeutischen Aufgabenstellung her gefordert erscheint, ist von Angehörigen des psychotherapeutischen Berufes Standfestigkeit gegenüber psychotherapiefremden oder die Psychotherapie gefährdenden Einflussnahmen oder Ansinnen aufzuzeigen.

4.4.6 Psychotherapieforschung (Kapitel 8)

Im Interesse der wissenschaftlichen Weiterentwicklung der Psychotherapie sollten Psychotherapeut_innen die grundsätzliche Bereitschaft zur Psychotherapieforschung mitbringen.
Ist die Einbeziehung von psychotherapeutischen Behandlungen in ein Forschungsvorhaben geplant, so sind die Implikationen dieser Einbeziehung für den psychotherapeutischen Prozess zu reflektieren und eine entsprechende Aufklärung der betroffenen Patient_innen sicherzustellen. Soweit Psychotherapeut_innen Unterlagen aus ihrer psychotherapeutischen Praxis für Forschungsvorhaben bereitstellen, haben sie eigenverantwortlich dafür Sorge zu tragen, dass eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte ihrer Patient_innen im Rahmen ihrer Mitwirkung am Forschungsvorhaben ausgeschlossen ist.

4.4.7 Streitfälle (Kapitel 9)

Bei Auseinandersetzungen zwischen Psychotherapeut_innen ist die kollegiale Austragung und Streitbeilegung im Rahmen der psychotherapeutischen Ausbildungs- und Fachverbände der Berufsvertretung anzustreben. Nur in schwerwiegenden Fällen und nach Ausschöpfung dieser Möglichkeit ist die Anrufung des Psychotherapiebeirats für die Abklärung und Lösung dieser Fragen vorzusehen.
Bei begründetem Verdacht, dass sich eine Berufskolleg_in unlauter oder standeswidrig verhält, besteht die Möglichkeit, sich vorerst vertraulich mit ihr auseinander zu setzen. Bei Weiterbestehen des Verdachts sind die zuständigen Gremien der psychotherapeutischen Fachvereinigung der Betreffenden davon in Kenntnis zu setzen. Besonders gravierende Fälle und Konflikte, deren Lösung durch Einrichtungen der Fachverbände und Berufsvertretung nicht möglich ist, sind an den Psychotherapiebeirat weiterzuleiten.
Von einer Frage oder Beschwerde betroffene Psychotherapeut_innen sind verpflichtet, an der Klärung aktiv mitzuwirken.
Für die Behandlung von Patient_innenbeschwerden sind in psychotherapeutischen Fachverbänden und der Berufsvertretung ebenso geeignete Verfahrensweisen und Einrichtungen vorzusehen sowie allenfalls weitere Beschwerde-, Schlichtungs- oder Schiedsstellen zu befassen.
Bei schweren Verstößen gegen den Berufskodex kann der Psychotherapiebeirat nach entsprechender Prüfung der Fälle gutachterlich eine Verwarnung, vorübergehende Kontrollen oder die bescheidmäßige Streichung aus der Psychotherapeutenliste empfehlen. Die Behandlung solch schwerwiegender Fälle obliegt dem Beschwerdeausschuss des Psychotherapiebeirats.

5. Schlußfolgerung


Literaturliste

Arnold, Eva - Franke, Beatrix - Holzbecher, Monika et. al. (2006) (Hrsg.): Ethik in psychosozialen Berufsfeldern, Köln, GwG, ISBN 3-926842-38-5.
Brossi, Rosina. (2011). Fragmente „en gros et en detail“ zum Thema ethische Fragen im psychotherapeutischen Alltag. Person, 15(1), 25–36.
Finke, Jobst. (1999). Das Verhältnis von Krankheitslehre und Therapietheorie in der Gesprächspsychotherapie. Person, 3(2), 131–138.
Holzbecher, Monika, & Wittrahm, Andreas. (2008). Ethik in psychosozialen Berufsfeldern: Ein Thema für die Ausbildung im Personzentrierten Ansatz. Person, 12(2), 5–11.
Hutterer-Krisch, Renate u.a., Grundriss der Psychotherapieethik: Praxisrelevanz, Behandlungsfehler und Wirksamkeit. Springer Wien, 2007, ISBN: 3-211-30659-5, in der Bücherei Wien vorhanden.

Berufskodex für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten - (Aus den Richtlinien des Bundesministeriums für Gesundheit, http://bmg.gv.at/cms/home/attachments/7/0/5/CH1002/CMS1415709133783/berufskodex.pdf, 11.03.2015)
Kurzinformation betreffend Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses (§ 212 StGB)- (Aus den Richtlinien des Bundesministeriums für Gesundheit, http://bmg.gv.at/cms/home/attachments/7/0/5/CH1002/CMS1415709133783/212_stgb_kurzinformation.pdf, 11.03.2015)